JULIAN REISTER

"Vielleicht war ich zu weich."


Tackling: Julian, du hast im Oktober diesen Jahres deine Tennis-Karriere beendet. Gib uns doch einmal ein paar Einblicke in deine Profi-Karriere. Wie würdest du diese beschreiben?

 

Julian Reister: Es war ein unglaubliches Erlebnis. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen – das ist heutzutage schwierig. Ich wusste immer, dass es ein Privileg war, einfach Tennis zu spielen. Damit Geld zu verdienen, war super. Am Ende der Karriere hat es mir einfach nicht mehr so viel Spaß gemacht. Dafür haben zu zu viele Sachen nicht mehr gestimmt. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, etwas anderes zu machen.

 

Dein größter Erfolg war Platz 83 in der Weltrangliste im November 2013. Ein weiteres Highlight war das Spiel gegen Roger Federer bei den French Open 2010. Bist du stolz auf das, was du erreicht hast?

 

Absolut, als kleiner Junge habe ich immer davon geträumt, einmal in die Top 100 zu kommen. Das war mein größtes sportliches Ziel und das habe ich erreicht. Darüber bin ich sehr glücklich. Viele haben mir gesagt, dass ich das Talent hatte, um es im Ranking noch weiter nach vorne zu schaffen. Aber ich bin total im Reinen mit mir und beklage mich nicht, dass ich es nicht in die Top 50 geschafft habe. Um es klar zu sagen: Ich bin voll d’accord, wie meine Karriere verlaufen ist.

 

"Mein größtes sportliches Ziel habe ich erreicht."

 

 

Alter:

30 Jahre

 

Sportart:

Tennis

 

Geburts- &

Wohnort:

 

Hamburg 

 

 

Zeit als Profi:

 

Vereine:

2005-2016

 

TC Logopak Hartenholm, TC Blau-Weiss Neuss, TK Kurhaus Aachen

 

Größte Erfolge:

83. der Weltrangliste im November 2013,

3. Runde French Open gegen Roger Federer 2010

 


Spielt die Weltrangliste die größte Rolle in einer Tenniskarriere?

 

Die Weltrangliste spielt definitiv eine große Rolle. Die Top 100 ist eine magische Zahl, weil man direkt bei den vier Major-Turnieren starten darf und keine Quali mehr spielen muss. Es ist wichtig, zu den Top 100 der Welt zu gehören, aber man definiert sich nicht nur darüber.

 

Gibt es einen Punkt in deiner Karriere, an dem es deutlich bergauf hätte gehen können oder dein Tennisleben einen anderen Verlauf hätte nehmen können?

 

Ja definitiv, aber man weiß ja nie genau, wie es sich dann entwickelt hätte. Es gab viele Verletzungen, ohne die meine Karriere anders verlaufen wäre. Ich hätte mehr Zeit gehabt, mich auf den Turnieren zu entwickeln und mehr Matches spielen können. In dem Jahr, in dem ich verletzungsfrei geblieben bin, habe ich mich von Weltranglistenplatz 400 auf 83 gespielt. Danach habe ich es verpasst, mir neue Ziele zu setzen, das war definitiv ein Fehler. Ganz klar: Mit weniger Auszeiten wäre meine Karriere sportlich erfolgreicher verlaufen.

 

Inwiefern spielte die Schulterverletzung für dein Karriereende eine Rolle?

 

Die Verletzung war ein großer Faktor. Das ging beim Hamburger Turnier los, als ich nicht mehr aufschlagen konnte. Danach war ich ein komplettes Jahr raus.
Ich war damals 24 und stand das erste Mal in den Top 100. Es war eine schwierige Zeit weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt wieder spielen würde können. Auch die Ärzte konnten mir nicht helfen. Ich habe nach neun Monaten trotz Schmerzen wieder angefangen zu spielen. Zum Glück gingen die Beschwerden irgendwann weg. Ich habe es in der Zeit leider verpasst, bei den großen Turnieren dabei zu sein. Dort verbessert man sich, weil man gegen große Gegner spielt und mit richtig guten Spielern trainiert. Die Schulterverletzung war definitiv ein Einbruch in meiner Karriere, weil ich danach nicht mehr so hart servieren und zwangsläufig weniger trainieren konnte.

 

Wo wärst du ohne diese dauerhafte Verletzung gelandet?

 

Das ist schwierig zu sagen. Ist man verletzungsfrei, kann man definitiv mehr Turniere spielen und punktet mehr. In den Regionen, in denen ich mich bewegt habe, war es wichtig, viele Turniere zu spielen.

 


„Auf meine Art bin ich weit gekommen.“

 

 

Hätte man durch anderes Training in der Jugend die Anfälligkeit für die Schulterbeschwerden verringern können? 

 

Darüber habe ich mir noch nicht wirklich Gedanken gemacht. Ich glaube, wenn man da ein bisschen mehr aufgepasst hätte, ja. Man hätte meinen Körper von Konditionstrainern checken lassen können, um zu sehen, dass ich einen Schiefstand in der Schulter habe. Daran hätte man intensiver arbeiten können. Allerdings hängen Verletzungen auch immer mit dem Kopf zusammen. Vielleicht kamen sie mir manchmal unbewusst sogar gelegen, weil ich nicht gerne gereist bin und wieder Zeit zu Hause verbringen wollte.

 

In deinem Abschiedsbrief, in dem du dein Karriereende offiziell bekanntgegeben hast, sprichst du über Selbstzweifel, die auch dazu führten, dass du dich vom Tennis abgewendet hast. Warst du zu weich für den Profi-Sport?

 

Das kann sein, mein damaliger Trainer Jan Velthuis hat immer gepredigt, ich müsse noch einen Tick härter werden, aber das ist einfach nicht meine Persönlichkeit. Das bin ich nicht. Ich habe gelernt, dass man sich nicht verstellen darf. Auf meine Art bin trotzdem relativ weit gekommen. Ich habe anderthalb Jahre lang versucht, konsequenter zu sein und es hat einfach nicht geklappt. Auf dem Platz war ich nicht mehr ich selbst. Mit dem Versuch zielstrebiger zu sein, habe ich den Spaß verloren.

 

Dein Bruder Benjamin ist Journalist. Hat er dir bei deinem Brief geholfen?

 

Wir haben den Brief zusammen geschrieben. Er kennt mich in und auswendig und weiß genau, wie ich denke. Es ist ihm gelungen, den Brief emotional aufs Blatt zu bringen. Wir haben uns öfters zusammengesetzt und uns gefragt, wie wir das am besten gestalten können. Wir fanden die Idee witzig, einen Liebesbrief an den Tennissport zu schreiben.

 

 

„Irgendwann hat es keinen Spaß mehr gemacht.“

 

 

Hast du eine Trennlinie zwischen professionellem Sport und dem Spiel an sich gezogen?

Irgendwann hat es keinen Spaß mehr gemacht. Ich werde auch nicht aus Jux mit Freunden auf den Tennisplatz gehen, da würde ich lieber andere Sachen machen. Tennis war sehr viel Arbeit, ich habe mein ganzes Leben lang gespielt, also werde ich meine Freizeit definitiv nicht auf dem Tennisplatz verbringen. Es ist aber nach wie vor ein unglaublich geiler Sport und ich will auch weiterhin im Tennis arbeiten. Ich versuche da klare Linien zu ziehen, das eine ist Beruf, das andere ist Freizeit und da spielt Tennis keine Rolle mehr.

 

Heißt das, du wirst nicht weiter Tennis spielen?

 

Ich werde keine Preisgeldturniere mehr spielen, vielleicht spiele ich nächstes Jahr in der Bundesliga für Köln.

 

Wie sieht dein Leben nach der Karriere aus?

 

Das Karriereende ist noch sehr frisch, ich hätte definitiv Lust, mit jungen, ambitionierten Tennisspielern zu arbeiten, die auch Profis werden möchten.
Es wäre super, meine Erfahrung weiterzugeben. In Hamburg wird gerade viel Wert auf Jugendarbeit gesetzt und es entsteht ein Konzept für Nachwuchsspieler, an dem ich auch beteiligt bin.


Du hast in deiner Karriere circa 850.000 US-Dollar Preisgeld verdient. Inwiefern kannst du davon heute noch leben?

 

Ich bin nicht reich geworden vom Tennis. Wenn man Anfang 20 ist und auf einmal bei einem Turnier 60.000 Euro verdient, ist das eine Menge Geld. Aber man hat auch viele Kosten. Fakt ist, ich hatte immer genug Geld. Ich musste mir darüber nie Gedanken machen und kann jetzt noch gut davon leben. Allerdings werde ich irgendwann anfangen müssen, ganz normal zu arbeiten.

Lässiger Typ! Julian Reister (30) gibt Tackling-Reporter Piet (li.) interessante Einblicke in seine Tennis-Karriere.
Lässiger Typ! Julian Reister (30) gibt Tackling-Reporter Piet (li.) interessante Einblicke in seine Tennis-Karriere.