ELMAR PAULKE

"Darts ist das Golf der Arbeiterklasse"


Tackling: Elmar, wie wird man Kommentator für Darts?

 

Letztlich durch Zufall. SPORT1, damals hieß es noch DSF, hatte ein Rechtepaket der Firma Matchroom eingekauft und da waren plötzlich Themen im Pott wie Haifischen zu kommentieren (lacht.). Poker, damals noch kein Thema, und Snooker war auch mit dabei. Mir wurde angeboten, ob ich mich um Darts kümmern könne. Ich bin dann als Ahnungsloser auf ein paar Bundesliga-Spieltage gefahren. Dort habe ich schnell gemerkt, dass in der Szene eine hohe Faszination gelebt wird und alle mit einer großen Begeisterung dabei sind. Es hat mich echt berührt, wie verrückt die auf ihren Sport waren. Ich wollte einfach wissen, was dahinter steckt. 

 

Wie ging es konkret los?

 

Der Sender ist komplett ohne Erwartung zur ersten WM gefahren. Das war 2005. Da sind wir einfach rein und haben geguckt, was passiert. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir keine Erwartungen, was die Quote betrifft. Ich wusste nur, du wirst 30 Stunden berichten. Später hat sich herausgestellt: Die Quote war von Anfang an erstaunlich hoch. Folglich sind immer mehr Turniere dazu gekommen und es entstand das, was wir in den letzten Jahren mit der Entwicklung der Dartsturniere der PDC Europe (Professional Darts Cooperation, Anm. d. Red.) erlebt haben. Im nächsten Jahr werden wahrscheinlich 200.000 Fans live vor Ort ein. Das ist eine Dimension, mit der wir alle nicht gerechnet haben.

 

Ally Pally, der Austragungsort der Weltmeisterschaft in London, ähnelt einem Irrenhaus. Muss man als Dart-Kommentator auch ein Stück weit verrückt sein, um die Sportart lieben zu können?

 

(Lacht.) Und auch zu leben! Ich habe Darts von Anfang anders kommentiert als Tennis. Man muss so ein Event auch mitleben, gerade wenn es ein bisschen verrückt ist. Da kannst du dich von den Konventionen freimachen. Du sprichst über Themen, über die du normalerweise in einer anderen Sportart nicht reden würdest. Das schätzen die Darts-Fans. Sie erleben uns damit auch als authentisch. Was wir machen, ist nicht aufgesetzt. Es hat seine Eigendynamik bekommen. Ganz klar: Für mich ist die Faszination inzwischen längst da. Ich empfand schon immer eine Begeisterung, wenn es um den mentalen Bereich von Sportarten geht. Das ist auch im Tennis die entscheidende Komponente und gerade darüber bestimmt sich letztendlich auch die sportliche Qualität. Ich habe ja auch Bogenschießen kommentiert und kenne die mentale Herausforderung. Ich finde es faszinierend, wie Leute mit mentalen Drucksituationen umgehen und wie sie es fertigbringen, sich davon frei zu machen. Beim Darts geht es am Ende nur um das Mentale. Es hat nichts Athletisches, du musst in Drucksituationen stabil sein wie in kaum einer anderen Sportart. 

 

 

Darts Infobox

 

  • Ziel: 501 Punkte mit je 3 Darts auf 0 bringen (ein „Leg“)
  • Dartscheibe besteht aus Single-, Double- und Triplefeldern
  • Bull´s Eye (Mitte) und Single Bull (äußerer Bull Ring) sind Sonderwertefelder
  • Maximum einer Aufnahme (3 Würfe): 180 Punkte
  • Das perfekte Spiel: Der 9 Darter (9 Würfe = 501 Punkte)
  • 5 verschiedene Spielvarianten, Klassischer Modus: Double Out (Beenden eines Legs mit einem Doppelfeld)
  • Wurflinie zur Dartscheibe: 2,37m 
  • Mittelpunkt der Dartscheibe: 1,73m über dem Boden
  • Gewicht eines Dartpfeils: 16-50 Gramm
  • Preis für 3 Dartpfeile: 5-480 Euro
  • Top 3 der Dartsszene: Michael „Mighty Mike“ van Gerwen, Gary „The Flying Scotsman“ Anderson und Peter „Snakebite“ Wright.
  • Dartboard besteht aus Sisalfasern
  • Darts WM London: Größtes Hallenevent Großbritanniens  
  • Ø Bierkonsum eines WM-Besuchers: 3 Liter 
  • Jeder Spieler besitzt eine eigene Hymne 

Der Hype um deine Person ist auch ein Prozess, den man nicht erwarten konnte. Du bist laut Medien und Fans die Dartsstimme in Deutschland. Es gibt T-Shirts und Plakate mit dem Spruch: Elmar, haben wir noch Fragen? Hast du dieses Ausmaß erwartet?

 

(Lacht.) Ja, das ist sehr ungewöhnlich. Ich glaube es liegt daran, dass so etwas immer personengebunden ist. Das war auch im Tennis Anfang und Mitte der 80er-Jahre mit Boris Becker so. Die Mechanismen sind immer die gleichen: Es kommt eine Sportart, ein Deutscher hat Erfolg und es entsteht ein Hype. Im Darts war es andersherum. Das Fernsehen hat den Hype ausgelöst, ohne dass es einen deutschen Topspieler gab. In diesen Prozess war ich integriert. Deswegen genieße ich wohl eine besondere Rolle, die ich vom Tennis nicht kannte. Das ist schon ungewöhnlich. Es war auch nicht geplant und es ist nicht so, dass man denkt: „Ich mache mich zum Star und bin Kult.“ So etwas kannst du dir nicht vornehmen. Entweder es passiert oder nicht. Ich sehe es als Wertschätzung der Zuschauer, die mit meiner Person jemanden verbinden, der nah an der Profiszene dran ist. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ein deutscher Spieler diesen Part übernimmt, wenn er in den Top 5 oder im WM-Finale steht. Ganz klar: Der Sportler würde mehr im Mittelpunkt stehen.

 

Die Nummer eins im Darts, der Niederländer Michael van Gerwen hat in deinem neuen Buch das Vorwort geschrieben. Er sagt, dass du großen Anteil daran hast, dass Darts in Deutschland so einen hohen Stellenwert hat. Ehrt dich das?

 

Ja, tut es. Ich weiß nicht, ob du schon einmal auf Turnieren warst. Wenn du bei einem Turnier bist und plötzlich rufen 3000 Fans deinen Namen, obwohl neben dir die Nummer eins der Welt steht – das ist schon fast peinlich. Da denke Ich: Ey es geht nicht um mich, es geht um die Jungs, weil ohne die hätten wir den ganzen Hype nicht! 

 

 

„Ich habe nahezu eine Botschafterrolle inne.“

 

 

Van Gerwen weiß natürlich, dass ich DER Kommentator in Deutschland bin und diesen Sport auch vermittle – aber es ist trotzdem strange. Ich habe nahezu eine Botschafterrolle inne (lacht).

 

Gibt es Dopingkontrollen im Darts oder Mittel, die Spieler schon eingenommen haben, einmal abgesehen von den Alkohol-Exzessen in der Vergangenheit?  

 

Ja, es gibt Dopingkontrollen. Man unterliegt dort der WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur). Es wurde schon Kokain gefunden und Spieler sind dafür gesperrt worden. Ein Mittel, mit dem du den Fokus, die Konzentration und dein Selbstwertgefühl nach oben bringst, ist alles andere als regelkonform. Aber genau darin liegt die Schwierigkeit, es ohne verbotene Hilfsmittel immer wieder zu schaffen, konzentriert zu sein.

 

Der Alkoholkonsum der Vergangenheit ist heute unvorstellbar, oder?

 

Ja, absolut. Das hat sich alles geändert mit der Gründung des Profiverbandes. Darts hatte ein großes Imageproblem. Es wurde geraucht, es wurde gesoffen, Leute sind teilweise von der Bühne gefallen, also die sind wirklich runtergeplumpst (lacht). Das kannst du den Sponsoren irgendwann nicht mehr verkaufen und demzufolge sind sie abgesprungen. Es gab ein Jahr, die Saison 1986/87, in der 15 Turniere übertragen wurden und im Jahr 1988 gab es nur ein einziges! Die Preisgelder gingen massiv runter und der Beruf des Dartsprofis stand in Gefahr. Das hat die PDC (Professional Darts Cooperation) früh erkannt und angeordnet: Es besteht Dresscode-Pflicht. Es steht keiner auf der Bühne, der nicht ordentlich gekleidet ist. Es gibt Wasser und ansonsten nichts, so wie in anderen Sportarten auch.

 

Besteht durch die Professionalisierung nicht die Gefahr, dass die romantische Seite des Darts verloren geht?

 

Ja, die Gefahr sehe ich. Es ist ein schmaler Grat. Die Frage lautet: Wie groß wird Darts und wie wird sich diese Sportart entwickeln? Darts lebt gerade davon, dass diese Welt verrückt und skurril ist und damit auch eine Faszination auf den Zuschauer ausübt. Ich glaube, wenn du einmal in den Topf mit allen Sportevents kommst, dann wird es schwer, sich zu behaupten. Bislang gelingt dies, weil man ein Format hat, dass es woanders nicht gibt. Darts besitzt viele Dinge, die einzigartig sind, die es nur beim Darts gibt. Das muss sich die Sportart behalten. 

 

 

„Die Gefahr ist, wenn die Typen fehlen, dass Darts seinen Platz verliert.“

 

 

Es sind speziell die Typen, die eine unheimlich hohe Wiedererkennung haben. Du schaust einen Tag lang eine Übertragung und du wirst dich an zwei, drei, vier Spieler mit Sicherheit erinnern. Das ist die Glatze von van Gerwen, das ist der Bart von Simon Whitlock und das ist Phil „The Power“ Taylor – die Legende schlechthin. Solche Charaktere gibt es bei anderen Sportarten nicht. Wenn ich mir zum ersten Mal ein Basketballspiel anschaue, dann erinnere ich mich an keinen Spieler. Die Gefahr ist, wenn die Typen fehlen, dass Darts seinen Platz verliert. Genau das ist auch ein großes Problem im Tennis gewesen.

 

In deinem neuen Buch beschreibst du, dass immer mehr junge Spieler in den Vordergrund kommen und versuchen sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Kannst du das einmal genauer erklären?

 

Inzwischen ist so viel Geld im Pott, dass der Anreiz groß ist, Profi zu werden. In den 80er-Jahren konntest du nicht sagen: Ich werde mit 16 Profi, davon bestreite ich meinen Lebensunterhalt. Es gab früher nicht viele Turniere, die ein hohes Preisgeld ausschütteten. Das hat sich drastisch geändert. Dadurch werden die Leute nicht mehr mit Anfang 30 Profi, wie Taylor, sondern viel früher, so wie es auch in anderen Sportarten der Fall ist. 

 

 

„Das sind keine Helden unserer Zeit, aber totale Popstars auf den Dartsturnieren.“

 

 

Genau da stellt sich die Frage: Bleibt Darts eine Nische? Wenn du dir die jungen Engländer auf den Nachwuchsturnieren ansiehst, dann unterscheiden sie sich nicht mehr groß von Golf- oder Tennisspielern. Aber die Faszination lösen die Typen mit der Plauze und mit den Tattoos aus. Eigentlich sind das keine Helden unserer Zeit, aber sie sind totale Popstars auf den Dartsturnieren. Das ist schräg. Das ist ein Teil der Faszination.

 

Das Phänomen machen also korpulente, komplett dem Medienbild nicht entsprechende „einfache Männer“ aus der Arbeiterschicht wie etwa der KFZ-Mechaniker James Wade aus. Warum werden die so gefeiert?

 

Das liegt an der hohen Identifikation der Fans. Der Fan kann sich mit dem Dartprofi enorm identifizieren. Da gibt es ganz viele Parallelen, die er bei sich selbst entdeckt. Dadurch werden Typen wie Wade dermaßen gefeiert und haben diesen Status. Solch eine Identifikation haben die Fans mit Sportlern wie Christian Ronaldo nicht. Ich denke kein Fußballjunge denkt ernsthaft: Ich bin wie Ronaldo, aber es gibt viele die denken, ich bin so wie Phil Taylor. Es gibt viele Parallelen im Alltag. Es ist ein Typ wie ich! Das bindet den Fan an eine Tour. 

 

Gibt es eine professionelle Jugendförderung in England?

 

Gibt es. In England sind Darts-Academies Gang und Gebe. Gerade Spieler- und Exspieler haben kleinere Acadamies, die gefördert werden. In der BDO (British Darts Organisation) werden Jugendturniere professionell organisiert. Der deutsche Verband (DDV) weiß gar nicht, was es heißt, Profis zu kreieren und sie auf den Weg zu bringen. Sie haben kein Fördersystem, das junge Spieler in den Profibereich bringt. Das ist eine große Schwachstelle. Es gibt keine privaten Akademien und es fehlt ein gewachsenes Turniersystem, bei dem man sich mit den besten Briten messen kann. In dieser Struktur kann nur ein Einzelner den Durchbruch schaffen, ein „Lonely Rider“, der sehr talentiert ist und plötzlich diesen Weg einschlägt. Das das mit System passiert, erkenne ich aktuell nicht. Da haben wir großen Nachholbedarf und da müssen wir dringend etwas tun!

 

Du wurdest früher oft belächelt für deine Begeisterung am Dartsport und musstest viel Kritik einstecken. Vor allem ein Reporter der ARD hat dich in der Öffentlichkeit wegen deines Kommentatorenstils angegriffen. Du hingegen hast die Fragestellungen von Stefan Raab bei TV Total kritisiert. Nerven dich mittlerweile diese Darts-Klischeefragen, wie „Ist das wirklich Sport?“

 

(Lacht.) Sie nerven, weil ich merke, dass sich der Fragesteller nicht mit Darts befasst hat. Der kommt daher und die erste Frage lautet: Ist das Sport? Die Frage muss man offensichtlich beantworten, das gehört mit dazu, aber es ist immer ein Indiz dafür, dass sich er sich mit der Sportart nicht auseinandergesetzt hat. Es geht nicht darum, einen Gegenstand 2,37 Meter weit zu werfen, sondern dass man die Struktur eines Matches versteht und die Schwierigkeit einer Partie erkennt. Das haben diese Typen offensichtlich nicht kapiert (lacht). Bezüglich Stefan Raab: Man merkt schnell, ob jemand Interesse hat oder nicht und ich bin mir nicht sicher, ob man sich Gäste einladen sollte, wenn man an einem Thema kein Interesse hat. Für mich war das super, für Max Hopp (bester deutscher Spieler, d. Red.) auch und für Darts war das gut. Solche Auftritte sind wichtig, um eine kleine Sportart in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.

 

Was kannst du deinen Kritikern kurz vor dem Start der WM 2017 in London mit auf den Weg geben?

 

Dass sie sich einfach mal mit dem Match beschäftigen sollen. Die Jungs sind klasse und van Gerwen ist ein gutes Beispiel. Wenige sind mental so gut wie er und gewinnen so eine hohe Prozentzahl ihrer Matches. Van Gerwen ist in Drucksituationen immer zur Stelle. lm Tennis haben diese Konstanz in den letzten Jahren Djokovic oder Federer. Das ist eine unglaubliche Fähigkeit. Ich habe das in meinem Buch beschrieben. Man macht sich gar nicht bewusst, wie einfach die Bewegung und der Bewegungsablauf eines Wurfes ist. Am  Ende beschränkt sich alles auf den mentalen Zustand. 

 

 

„Es begrenzt sich alles auf die mentale Schiene und das macht es so brutal.“

 

 

Die Kürze der Entfernung zum Dartsboard lässt wenig Spielraum. Werfen können die auch alle. Das ist wie im Golf. Mental sind Golf und Darts sehr, sehr ähnlich. Die Briten reden ja immer vom Golf der Arbeiterklasse. Wobei: Im Golf hast du eine technisch sehr komplizierte Bewegung und kannst noch viel korrigieren. Da gibt es technisch viele Variationen an einem Turniertag. Das gibt es im Darts nicht. Es begrenzt sich alles auf die mentale Schiene und das macht es so brutal. Innerhalb von Sekunden können sich Matches drehen. Du siehst das und denkst: Das kann nicht wahr sein, dass das jetzt passiert. Selbst erfahrene Spieler können sich dagegen nicht wehren. Auf mich übt das eine große Faszination aus. Es ist Spannung und Dramatik pur!

Elmar Paulke nahm sich über eine halbe Stunde Zeit, um mit Tackling-Reporter Lion zu telefonieren.
Elmar Paulke nahm sich über eine halbe Stunde Zeit, um mit Tackling-Reporter Lion zu telefonieren.